Tag 2 in Palmasola (von Christoph Frick)


Wie die ersten beiden Tage in Palmasola war auch Tag drei im Gefängnis interessant, anregend, erschütternd und bereichernd. Wie schon am ersten Workshop-Tag teilten wir uns in mehrere Gruppen in den unterschiedlichen Sektoren des Gefängnisses auf. Der größte Teil von uns ging in das  Gefängnisdorf, in dem 4.000 Männer leben, zwei von uns gaben einen Workshop im Frauentrakt und ich ging zusammen mit einem Kollegen in den kleineren Männersektor PC3.  User Thema für den Vormittag war der 14. März, der Tag der Großrazzia, an dem das Regiment von ‚Oti’ abgesetzt wurde. Wie war die Geräuschkulisse an diesem Tag? Zuerst getuschelte Gerüchte, dann Geschrei und Streit aus den anliegenden Gefängnissektoren, Helikopter, die näherkamen, Gewehrsalven, Schreie, Ansagen der Polizei durch Megaphone, weitere Schüsse, Geschrei der Insassen, Geschrei der Polizei, Ansagen, Geschrei, weinende Kinder, Schüsse... Daraus kreierten wir ein kleines Konzert, schließlich war unser Musiker am Morgen angekommen und zum ersten Mal mit im Gefängnis. Als Dankeschön jodelte er zur Freude und zum Erstaunen aller zwei Schweizer Lieder vor. Danach fragten wir nach weiteren Details zur Razzia und nach dem Sturz von Víctor Hugo Escobars Regime. Was passierte mit den Kindern, die den Vätern von der Polizei aus den Armen genommen wurden? Wie kommunizierten die Gefangenen untereinander, als zwei- bis dreitausend von ihnen auf dem Fußballfeld stundenlang als ‚alfombra humana’, als ‚menschlicher Teppich’ mit dem Gesicht nach unten am Boden lagen. Was hörten Sie? Wie erging es ihnen, als sie sich einnässten? Welche Gerüchte kursierten? 

Schritt für Schritt ließen wir den Tag, an dem das Klima und die Ordnung in Palmasola auf den Kopf gestellt wurde, noch einmal aufleben: Das Vorrücken der Polizei als kompakte Kampfeinheit in einer choreographischen Umsetzung.

Flucht durch den Polizeikorridor. Drogen- und Alkoholausgabe von Oti und seinen ‚Soldaten’ an die übrigen Kämpfenden. Die Zerstörungswut und die Diebstähle der Polizei.

Nachmittags erzählten uns die Gefangen von ihren Wünschen, von ihren Lieblingsessen und von ihren Erfolgsträumen als Kinder und heute. Sie trugen uns Lieder vor, die sie in der Gruppe singen oder wenn sie alleine sind. Die Antwort auf die Frage, welchen Menschen sie am Tag ihrer Entlassung als erstes sehen wollen lautete bei den allermeisten: mi madre – meine Mutter.

Sehr berührend war für uns als sich die Teilnehmer zum Schluss bedankten, dass sie sich durch die Theaterarbeit über diese traumatischen Tage im März letzten Jahres austauschen konnten, was sie bisher kaum getan hatten, da jeder diese Ereignisse für sich alleine zu verarbeiten versuchte.

Morgen werten wir aus.

Am Freitag gehen wir für weitere Interviews ins Gefängnis. Bald mehr.